On Display: Max Beck über Marie Laforges »Stadtlichter«

17.3.2022

»On Display. Die Körper der Fotografie« heißt eine Ausstellung von Studierenden der Folkwang Universität der Künste, die vom 6. Februar bis zum 29. Mai 2022 im Kunstmuseum Ahlen zu sehen ist. Zu den dort ausgestellten achtzehn Werken treten achtzehn Texte, die gleichfalls von Studierenden der Folkwang Universität der Künste geschrieben worden sind. Im Frühjahr 2022 werden Bilder wie Texte in einem Katalog erscheinen, herausgegeben von Elke Seeger und Steffen Siegel, die gemeinsam mit Martina Padberg vom Kunstmuseum Ahlen das Projekt »On Display« geleitet haben.


Befreite Farben
Zu Marie Laforges »Stadtlichter« (2022)
Von Max Beck

Wie eine Schneise durchzieht die Kalker Hauptstraße die anliegenden Wohngebiete. Hier befindet sich eine solche Fülle an Geschäften, dass man ihrem Sog kaum entkommen kann. Nicht selten stellt sie mich auf eine harte Probe in Geduld und Empathie, verlangt stetige Verbesserung im Ausweichen und Überholen und bewirkt durch die Überflutung an Reizen eine enorme Erschöpfung, wenn ich endlich in meiner Wohnung angekommen bin. Auch ich sehe die vielen farbigen Lichter, die als Ladenschild, Reklame, Ampel oder Dekoration die Straße bunt erhellen. Aber stehen zu bleiben und deren sinnliche Qualitäten zu beobachten, ähnelt der Vorstellung, auf der Autobahn rechts heran zu fahren, um die Bäume am Straßenrand näher zu betrachten.

Marie Laforge hat das für ihre Arbeit »Stadtlichter« getan. Sie spazierte bei Dunkelheit mit einer Lochkamera ausgestattet auf der Kalker Hauptstraße und nahm aus kurzer Distanz verschiedene Lichtquellen auf. Die belichteten Dia-Positive sind als Tableau angeordnet und jeweils von hinten beleuchtet. In jedem Einzelbild ist ein leuchtender Punkt in der Mitte des Rechteckes zu sehen, der sich mit weicher Kante in der schwarzen Umgebung auflöst. Die ruhige Erscheinung dieser streng geordneten, sanft farbig leuchtenden Punkte steht in einem deutlichen Kontrast zu ihrem hektischen und rauen Ursprungsort. Rein formal betrachtet, veranlasst das Tableau zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen sinnlichen Wahrnehmung von Licht und Farbe, und der Beobachtung, wie diese auf uns wirkt.

Dass fotografische Technik angewendet wurde, um die Bilder zu erzeugen, öffnet jedoch viel erweiterte Interpretationsräume. Auf pointierte Weise wird dabei gezeigt, wie verflochten die Beziehung von Fotografie und Konzeption ist. Nur durch den Hinweis im Begleittext ist es möglich, sich die Handlungen und Vorgänge vorzustellen, die den Bildern vorausgesetzt sind. Der Leuchtpunkt erfährt eine Umdeutung zu einem indexikalischen Zeichen und steht damit unweigerlich in einer Beziehung zu der Realität seines Referenten. Die Erfahrung vor dem Tableau steht also der Vorstellung von Erfahrungen auf großstädtischen Einkaufsstraßen bei Dunkelheit gegenüber.

Die Symbolik von beleuchteten Dingen im Stadtraum ist vielfältig. Ladenbeschriftungen leuchten, um mich anzuziehen, Ampeln, um mich zu lenken, Autos, um mich zu warnen. Das Entziffern dieser symbolischen Botschaften nimmt so viel geistigen Raum in Anspruch, dass eine losgelöste Betrachtung der Farben kaum möglich ist. Die leuchtenden Farbkreise, die wie entlastet von jeglicher Symbolik erscheinen, ermöglichen mir eine Auseinandersetzung mit einer vorgestellten Wahrnehmung, die sich zwar unterscheidet von dem Realitätsempfinden des Alltags, aber dennoch in diesem enthalten ist. Durch die reduzierte Nutzung von essentiellen fotografischen Praktiken – dem Herauslösen und Verweisen – werden die Qualitäten des Mediums akzentuiert und gleichzeitig eine erweiterte Wahrnehmung einer konkreten Situation angeboten: das hastige Durchschlängeln auf der Kalker Hauptstraße, um ein paar Baklava bei Nimet zu kaufen.

Max Beck studiert seit 2020 an der Folkwang Universität der Künste im M.A. Photography Studies and Research