Solidarisches Schweigen als visuelle Geste?

Screenshot von Instagram am 2. Juni 2020.

Screenshot von Instagram am 2. Juni 2020.

2.6.2021

Solidarisches Schweigen als visuelle Geste?
Eine ambivalente Erinnerung an den #blackouttuesday auf Instagram

von Jakob Schnetz

Politische Kämpfe sind längst auch Kämpfe in digitalen Räumen. Dabei wird der Gebrauch von Bildern als Mittel, Form und Katalysator von Protest und Solidarität immer wichtiger, wie Kerstin Schankweiler in ihrem Buch »Bildproteste« (2019) zeigt. Aber auch wenn solche Proteste mit und durch Bilder stets in größere gesellschaftliche und politische Kontexte eingebunden sind, stechen manche virtuellen Ereignisse besonders hervor. Erinnern wir uns an den »#blackouttuesday« auf der Plattform Instagram: Anstelle der üblicherweise um Aufmerksamkeit ringenden Beiträge blieb das Display am 2. Juni 2020 vermeintlich leer – mindestens dann, wenn wir schwarze Bildschirme mit Leere gleichsetzen. Fast die gesamte Timeline ist ein nur von Like-Angaben und Profilbildern gerahmtes, scheinbares ›Nichts‹, eine stetig wachsende Reihe aus gänzlich schwarzen Bildern, die an diesem Tag hunderttausendfach hochgeladen werden. Die Hashtags #blackouttuesday und #blacklivesmatter kontextualisieren sie vage als solidarischen Beitrag zum Tod des 46-Jährigen Schwarzen George Floyd, der eine Woche zuvor brutal von einem weißen Polizisten und seinen Kollegen ermordet wurde.

Unweigerlich löst der schreiend-stumme Newsfeed in mir das Gefühl aus, teilnehmen zu wollen und mich in meiner weißen Privilegiertheit mit den von Rassismus betroffenen Menschen zu solidarisieren. Doch dann regt sich ein Zweifel in mir: Was bedeutet hier eigentlich Solidarität? Und wie wird sie bildlich hergestellt? Die enorme Wirkung dieses simulierten Blackouts speist sich zunächst genau daraus: Einem kollektiven Moment des ›Schweigens‹ auf einer ansonsten zumeist individualistischen Selbstdarstellungsplattform – unterbrochen nur von den nun umso absurder und greller leuchtenden personalisierten Werbeanzeigen. Im virtuellen Raum der App muss Schweigen buchstäblich sichtbar werden und damit produzierter Content sein. Ein solches ›Nichts‹ zu posten ist etwas völlig Anderes als nichts zu posten und neben dem Liken und Teilen einzige Möglichkeit, die eigene Anwesenheit und damit Solidarität zu zeigen. Die Illusion der Leere ist also keine Abwesenheit digitaler Bilder, doch im Gegensatz zu anderen virtuellen Protesten spielen für diese Aktion fotografische Zeugenschaft und gängige Bildmuster keine Rolle. Das Ausgangsmotiv zur Herstellung der schwarzen Bilder scheint hier bedeutungslos und das Rätsel darum in einer verstörenden Weise bizarr: So sehe ich auf meinem Smartphone-Display vielleicht digital errechnetes Schwarz aus der Online-Bildsuche neben unterbelichteten Handyfotos aus Besenkammern und Kleiderschränken oder von Tischplatten und (weißen?) Fingerkuppen, die die Kameralinse bedecken – und die hier alle gleichfalls Solidarität bedeuten sollen.

Jene gewaltvollen Bilder von Floyds Tötung, die den Protest hier mitunter katalysierten, werden nun verweigert und so ein möglicher Trigger für Schwarze Menschen verhindert. Paradoxerweise bieten die schwarzen Bilder aber auch den Raum, sie mit den zuvor gesehenen Gewaltdarstellungen in der Fantasie zu füllen und womöglich dadurch noch zu verstärken. Trotz unterschiedlicher Bildformate erinnert die Verbannung des Figurativen auch an Kasimir Malewitschs vieldiskutiertes Gemälde »Schwarzes Quadrat« von 1915. Im Gegensatz zu den schwarzen Bildern hier bedeutet es zunächst einmal nur sich selbst; eine damals radikale Position. Ist es im Jahr 2020 nur eine konsumierbare und zahnlose Ästhetik einstiger Avantgarde? Es lässt sich nicht leugnen, dass die schwarzen Bilder in ihrer Menge – als Timeline – wirkungsvoll sind. Der #blackouttuesday wird so zu einem flüchtigen, ikonischen Ereignis und auch zu einer klugen Metapher: Die Unsichtbarkeit bei gleichzeitiger Hyper-Sichtbarkeit Schwarzer Menschen in einer strukturell rassistischen Gesellschaft. Gleichzeitig werden einige der Bilder, wohlwollend getagt mit #blacklivesmatter, problematisch für die gleichnamige Bewegung, da sie vorübergehend den wichtigen Kommunikationskanal überlagern und so das Gegenteil ihrer Absicht erzeugen –  wer den Hashtag abonniert hat, um informiert zu bleiben, bekommt plötzlich nur noch diese schwarzen Bilder angezeigt.

Es mag an meiner Filterblase und Eigendynamiken auf sozialen Netzwerken liegen, doch von der ursprünglichen Intention der Aktion erreicht mich in meinem Feed nichts: Die Schwarzen Musik-Managerinnen Brianna Agyemang und Jamila Thomas starteten den ›Blackout‹ zwar auch zum Gedenken der von Polizisten ermordeten Schwarzen George Floyd, Breonna Taylor und Ahmaud Arbery, aber eben nicht ausschließlich. Genauso wichtig war ihnen die Kritik an der Ausbeutung Schwarzer Musikkultur. So wirken die oft kontextlosen schwarzen Bilder wie eine diffuse Projektionsfläche für Solidarität, in der das initiale Anliegen verloren geht. Auch irritiert mich das gegenseitige Liken der Beiträge, wirkt es abseits der Sichtbarkeit, die es verstärkt, beinahe wie ein selbstvergewisserndes gegenseitiges Schulterklopfen. Nicht ohne Grund oft als »Clicktivism« oder von der Schwarzen Autorin Latham Thomas als »Optical Allyship« kritisiert, bleibt diese Form der Unterstützung – auch wenn sie von Herzen kommt – gerade aus einer weißen Perspektive nicht betroffener Betroffenheit konsumierbar und nur an der buchstäblichen Oberfläche. Frei von Opfer und Schmerz physischer politischer Kämpfe ist es ein kurzweiliges Verbündetsein, das Betroffenen keine Arbeit abnimmt. 

Allerdings muss ich dem Ereignis auch zugestehen, gerade aufgrund seiner unauflösbaren Ambivalenz in mir nachzuhallen. Im besten Falle schafft diese unhierarchische und durchaus eindrückliche Form des Protests wichtige Aufmerksamkeit und vielleicht auch eine Bewusstseinsaktivierung – doch kann sie nur Ausgangspunkt oder Zusatz sein, will sie nicht nur eine flüchtige und, so scheint es, auch selbstberuhigende Geste bleiben.

Jakob Schnetz studiert seit 2019 an der Folkwang Universität der Künste im M.A. Photography Studies and Research.