On Display: Clara Mühle über Damian Rosellens »Research Based«

20.3.2022

»On Display. Die Körper der Fotografie« heißt eine Ausstellung von Studierenden der Folkwang Universität der Künste, die vom 6. Februar bis zum 29. Mai 2022 im Kunstmuseum Ahlen zu sehen ist. Zu den dort ausgestellten achtzehn Werken treten achtzehn Texte, die gleichfalls von Studierenden der Folkwang Universität der Künste geschrieben worden sind. Im Frühjahr 2022 werden Bilder wie Texte in einem Katalog erscheinen, herausgegeben von Elke Seeger und Steffen Siegel, die gemeinsam mit Martina Padberg vom Kunstmuseum Ahlen das Projekt »On Display« geleitet haben.


Vom Rangeln, Preisgeben und Imaginieren
Von Clara Mühle

Rückblicke in die Fotogeschichte zeigen, dass fotografische Objekthaftigkeit und die mediale Verkörperung von Bildern vielfältig sein können. Eine Daguerreotypie – die eingeschlossen in einem Kästchen als eine Art Talisman wahrhaftig als Objekt diente – Alben, Leuchtkästen oder Abzüge: Sie alle leihen fotografischen Bildern ihre haptischen, dreidimensionalen Körper. Fotografien zu greifen und als Objekt erfahrbar zu machen, erwies sich als deutlich einfacher, als das Medium noch auf seine analogen Schöpfungsweisen beschränkt war. Doch mit der Digitalisierung und, damit verbunden, der Dematerialisierung verschob sich die Erfahrung fotografischer Körper.

Damian Rosellens Arbeit »Research Based« nimmt sich diesem Umstand auf eine vielschichtige Weise an und umkreist Themen wie gemeinschaftliche Seherfahrungen und Sinnbildungsprozesse rund um die Fotografie. Das simultane Zeigen seiner Arbeit als Fotobuch – einem der durchaus klassischen fotografischen Objekte – und einer digitalen Version, die als Feed potenziell von unendlich vielen Betrachter:innen gleichzeitig angeschaut, aber dennoch nur gleichgeschaltet gesteuert werden kann, wirft vielschichtige Fragestellungen auf. Dabei kann die Wirkung des technischen Manövers sehr unterschiedlich sein. Während der einen Betrachter:in womöglich gar nicht auffällt, dass das digitale Fotobuch potenziell von mehreren Akteur:innen gleichzeitig betrachtet und auch gesteuert werden kann, muss eine andere vielleicht nur wenige Minuten später um Geschwindigkeiten und Verweildauern rangeln, und damit teilweise sogar etwas sehr Intimes preisgeben – die eigene Art zu betrachten.

In einer Zeit, in der wir es gewohnt sind, dass fotografische Bilder über Streams und Feeds verbreitet werden und sich in unendlichen Varianten zu individuellen Seherfahrungen zusammenschließen, die aus einem Zusammenspiel von algorithmischen Berechnungen, User:innenverhalten und monetären Verwertungslogiken gesteuert werden, bedeutet die zentrale Bedienung des Bilder-Feeds eine Art Rückbesinnung. Trotz seiner immateriellen Struktur wird der Feed als fotografisches Objekt greifbar und die imaginierte Anwesenheit der anderen präsent. Die vermeintlich individuelle Erfahrung weicht einer nun gemeinschaftlichen. Ähnlich wie es der Politikwissenschaftler Benedict Anderson in seinem berühmten Buch »Die Erfindung der Nation« schon am Beispiel des Buchdrucks und des daraus resultierenden Zeitungslesens deutlich gemacht hat, kann das Wissen um eine gleichzeitig wahrnehmende und erfahrende Gemeinschaft mächtig sein.

Doch nicht nur das individuelle und kollektive Betrachten wird in »Research Based« auf den Prüfstand gestellt. Gleich der Tradition des Fotosharings – dem Teilen und Verteilen von Knipsereien und Erinnerungsfotos als Habitus eines meist privaten Kontexts – aus der sich das Teilen fotografischer Bilder im digitalen Raum ableitete, werden in der Arbeit Kategorien überwunden, die vormals als wichtig erschienen. Durch die Bildauswahl verlieren Unterscheidungen wie etwa zwischen Profi und Amateur oder digitalem und analogem Foto an Gewicht und treten hinter dem kuratierten Feed und der Seherfahrung zurück. Der Mix aus schnappschusshaften, stark referenziellen und kontextarmen Fotografien führt uns gleichzeitig das eigene Sehen und die Suche nach Sinn vor Augen. Wir versuchen zu ergründen – und sind damit niemals allein.

Clara Mühle studiert seit 2020 an der Folkwang Universität der Künste im M.A. Photography Studies and Research.