Eric Meier: FF

19.6.2023

Besprochen von Steffen Siegel

Es gibt Fotografien, bei denen genaues Hinsehen nicht reichen wird. »FF« von Eric Meier, erschienen bei sèche editions in Berlin, erinnert daran schon auf dem Cover. Wer den großformatigen, gut zwei Kilo schweren Band in die Hand nimmt, muss es spüren: Die Buchstaben sind so rau wie Schleifpapier. Damit ist zugleich ein Ton gesetzt. Es geht hier um eine Form der Sinnlichkeit, die die Augen ebenso viel angeht wie die Fingerkuppen.

Ein neunseitiges Intro, gesetzt in großen Lettern, wirft für »FF« stakkatohafte Lyrics hin: „Es riecht nach Money Honey, aber nicht für Dich.« Oder: »Es ist 93, 94, 95, 96, 99 Uhr. Millennium. Im Takt der Zonierung ist die Zornierung produktiv gesteigert.« Oder: »Wie schön der Schutt ist oder die Blume, die sich durch die Platte gräbt.« Und: »Die Tür ist jedoch immer einen Spalt auf. Und wenn nicht, rennen wir durch die Scheibe. Welt offen.« Direkt danach, auf Seite 13, kann man diese Scheibe sehen.

Doch folgen keine Blick ins Offene, sondern 250 Seiten voller Close-Ups, immer schwarz-weiß. Fotografien für die Fingerspitzen: die kleinen glatten Kiesel im porösen Waschbeton, der feinkörnige Rost auf dem schmalen Treppengeländer, die glatten Kachelfliesen der fensterlosen Fassaden, die scharfkantigen Schuppen der splitternden Ölfarbe, die kubistischen Formbausteine, zusammengefügt wie die Betonplatten für Hauswände und Gehsteige, zwischen ihnen ein Kleber aus Teer, der im Sonnenschein an Härte verliert und dunkel zu riechen beginnt. Spätestens hier kommt auch die Nase ins Spiel.

Es ist nicht schwer, solche materiellen Qualitäten metaphorisch aufzufassen – und gewiss ist es auch nicht falsch, gerade solche Schlüsse zu ziehen. Oft genug ist das, was Eric Meier in seinen Bildern zeigt, brüchig, marode, verfallen oder sogar mutwillig zerstört. Allerdings liegt unter dieser rauen Ikonografie eine zweite Ebene, und gerade hierfür benötigt es den fotografischen Blick. Der ist aufmerksam, intensiv, genau. Die so entstehenden Fotografien sind dabei vor allem eines: den Dingen zugewandt.

Kein einziges dieser Bilder zeigt Menschen – und doch geht es auf allen Seiten des Buches nie um etwas anderes. Eine Lebenswelt voller alter und einiger neuer Zeichen im Habitat »FF« wie Frankfurt an der Oder. Michael Schmidt eröffnete sein legendäres (gerade wieder aufgelegtes) Buch »Ein-heit« mit einem Blick ins Gelände der ostdeutschen Plattenbaugebiete, weitete dann aber sehr schnell die Perspektive. Eric Meier bleibt hier beharrlich: Seine Ortserkundung folgt geduldig den großen Formen und kleinen Zeichen, sammelt Blicke für Augen und Fingerspitzen – und verdichtet sie zu einem meisterhaft präzisen Fotobuch.

Eric Meier: FF, Berlin (sèche editions) 2021. 304 Seiten, Hardcover, 24 × 32 cm. Gestaltet von HOMI Creative Studio, mit Texten von Eric Meier, Malina Lauterbach und Clemens Vilinger. ISBN: 978-3-949495-01-4