Stopover 20/21: Florian Fäth und Paul Werling

4.3.2021

»Stopover« – einmal jährlich stellen unter diesem programmatischen Titel die Studierenden im M.A. Photography Studies and Practice ihre aktuellen Arbeiten im UG des Museum Folkwang aus. In Form eines Zwischenstops sollen Einblicke gewährt und soll zu einer Diskussion eingeladen werden. Im Katalog finden sich neben den fotografischen Werken auch kurze Texte, die direkt an die Bilder adressiert sind. Verfasst wurden sie von den Studierenden des M.A. Photography Studies and Research. Hier schreibt Paul Werling an Florian Fäths Serie »Einheitsbrei«.

 

Mein Blick schweift durch die Innenstadt. Gleichheit und Austauschbarkeit der Fassaden füllen mein Blickfeld. Es ist eine konsumoptimierte Umwelt voller Fremdheit, Individualität kaum mehr als ein grelles Kaufversprechen ökonomischer Giganten. Ob ihr als fotografisches Kollektiv eine oder mehrere Städte abbildet, kann ich nur aufgrund eures Titels mit Sicherheit sagen. Ihr verschwimmt zu einem Wimmelbild kultureller Uniformität, das individuelle Referenz unbedeutend erscheinen lässt. Aber ist diese Uniformität letztlich nicht nur eine nachträglich konstruierte? Hebe ich meinen Blick über die Fassade des Erdgeschosses, so erkenne ich, wie viele der ursprünglichen Architekturen mit Scheinfassaden überzogen wurden. Die architektonische Einheit ist eine des Untergeschosses. Eure fotografische Verdichtung bestärkt diesen Eindruck. In dieser seriellen Punktierung führt ihr uns die kapitalistisch motivierte Einebnung ortsspezifischer Charakteristika deutlich vor Augen. Kann dies Sinnbild einer gelungenen Wiedervereinigung sein?

30 Jahre sind nun vergangen seit dem Tag der deutschen Wiedervereinigung. Die großen Reden von Einigkeit, Annäherung und Ebenbürtigkeit klingen bis heute nach. Bilder euphorischer Menschenmassen an der gefallenen Mauer und Festivitäten auf den Straßen der damals frisch geeinten Republik haben sich in unser kollektives Bildgedächtnis eingeschrieben. Heute müssen sie sich an einer Realität messen, die noch immer an den einstigen Versprechen hadert. Nach wie vor erinnern Unterschiede in Wohlstand, Ansehen, Sichtbarkeit und Repräsentation an die einstige Trennung. Doch dokumentiert ihr nicht Gegenteiliges? Ihr vermittelt ein Bild deutscher Innenstädte, die sich aufgrund ihrer Ähnlichkeit nicht verorten lasen. Ob ich eine Ladenfront aus Halle oder Darmstadt betrachte, vermag ich nicht zu sagen. Insofern sehen wir Bilder von Urbanität eines zumindest kapitalistisch vereinheitlichten Deutschlands. Eure Dokumentation dieser Angleichung entbehrt jedoch nicht der Kritik selbiger.

Die Wiedervereinigung war die Annäherung zweier ungleicher Staaten. Notwendigerweise war der Prozess geprägt von Entsagung und Kompromiss, doch als ebenbürtig kann diese Annäherung nur bedingt gelesen werden. In erster Linie waren es die neuen Bundesländer, die dem Alten entsagten und sich einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung unterordneten. In der Folge wurde ostdeutsche Kultur zusehends aberkannt und verwestlicht, die Wirtschaft in westdeutsche Hände privatisiert und die neue deutsche Einheit kompromisslos kapitalistisch geprägt. Ostdeutsche Marken verschwanden von der Bildfläche, der Einzelhandel wurde von Handelsketten überrollt und es dauerte nur wenige Jahre, bis die Innenstädte der kulturellen Uniformität angepasst waren. Der Kapitalismus ist in seiner Natur ein Prozess der Einverleibung, die Wiedervereinigung seine Bühne, eure Existenz die kritische Beglaubigung dessen.