Hao Wen: Die abstrakte Wahrheit

20.11.2020

Hao Wen, Student im M.A. Photography Studies and Practice, setzt mit seiner Ausstellung »Die abstrakte Wahrheit« das Programm der Galerie 52 im laufenden Wintersemester 2020/2021 fort.

Zur Idee seiner Ausstellung schreibt er selbst: »Ich zeige die drei Arbeiten »Ohne Titel«, »Die Spur« und »二0二0«. Mit ihnen verfolge ich unterschiedliche Ansätze, um die Beziehung zwischen Fotografie und Wahrheit zu überprüfen. Mein Verständnis der Fotografie hat sich im Laufe meines Studiums immer weiterentwickelt und verändert, wobei sich neue Fragestellungen ergeben haben. Worin liegt diese Wahrheit? Hat Fotografie einen Beweischarakter? Ist es die Entsprechung zwischen dem mimetischen fotografischen Abbild und dem Erscheinungsbild der dreidimensionalen Wirklichkeit? Liegt die Wahrheit in dem indexikalischen Bezug der Fotografie zu der sie auslösenden Wirklichkeit? Ist Fotografie eine Gedankenstütze, die meinen Erinnerungen konkrete Form verleiht? Das unterschiedliche Verständnis der Wahrheit bestimmt maßgeblich was und wie ich es aufnehme.

Das Bildpaar »Ohne Titel« besteht aus zwei Fotografien, die ich durch ein Zugfenster fotografiert habe, ohne durch den Sucher der Kamera zu schauen. Wegen der Geschwindigkeit des Zuges enthält jedes Foto abstrakte horizontale Linien. Trotzdem kann ich mich erinnern, was ich im Moment des Fotografierens gesehen habe – ein Gebäude, eine Brücke und einen Fluss.

In der Arbeit »Die Spur« untersuche ich den Kontext eines Fotos. Ein Foto ist wie eine Fußspur am Strand. Ich interessiere mich nicht nur für diese Fußspur, sondern auch für den ganzen entstehenden Prozess. Ich frage mich, ob die Wahrheit in der Unsichtbarkeit eines Fotos versteckt wird. Die Bilder in dieser Serie entstehen in auf Dauer angelegten Handlungen. Es sind Prozesse mit performativem Charakter, die in einem Bild resultieren. Es versteckt somit die Spur, die zum fertigen Bild geführt hat und bewegt sich zwischen Bild und Skulptur. Durch den Prozess ihrer Entstehung fließen meine eigenen Lebenserfahrungen in meine Bilder ein: Ich nehme einen Stapel Post-it und schreibe die Zahlen von 1 bis 400 auf die einzelnen Zettel. Ich nehme schwarze Steine und verschließe mit ihnen ein großes Rohr.

»二O二O« bedeutet 2020. Die chinesische Zahl 二 besteht aus zwei Linien. Durch zwei Linien möchte ich die Aufmerksamkeit auf das grundsätzliche Element in einem Foto schicken. Wenn die Oberfläche der Dinge in einem gewissen Grad vergrößert wird, wird unsere Erkenntnis von realen Dingen, z.B. die Funktion, die Bedeutung, die soziale Beziehung, in ein befremdliches Gefühl umgewandelt. Wie könnten wir diese Details verstehen?

Ein weiterer Punkt in diesen Serien ist die Wiederholung. Das Leben, die Gesellschaft und die Geschichte wiederholen sich immer in einem System. Die Frage ist, in welcher Zeit wird diese Wiederholung stattgefunden haben? Welche unbemerkten Unterschiede gibt es darin?«